Studie
Gesundheitszentren für eine bessere Versorgung

2035 werden in Deutschland voraussichtlich 11.000 Personen im ärztlichen Dienst fehlen. Wo es besonders schwer wird, einen Hausarzt oder eine Hausärztin in der Nähe zu finden, zeigt eine neue Studie. Zugleich weist sie den Weg, wie in Zukunft eine gute Gesundheitsversorgung gelingen kann.

Cornelia Varwig | Mai 2021
Personen im ärztlichen Dienst sitzen in einer Runde und besprechen sich
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Das Besondere an PORT-Zentren: Personen im ärztlichen Dienst, Therapeut:innen und Pflegefachkräfte arbeiten eng zusammen und tauschen sich für eine optimale Begleitung der Patient:innen miteinander aus.

Die Bevölkerung in Deutschland altert und mit ihr die Personen im ärztlichen Dienst. Bis 2035 werden knapp 30.000 von ihnen altersbedingt ausgeschieden sein. Da der Nachwuchs nicht in gleicher Stärke nachrückt und bereits heute viele Stellen unbesetzt sind, fehlen dann voraussichtlich 11.000 Personen im ärztlichen Dienst. Das zeigt die Studie „Gesundheitszentren für Deutschland – Wie ein Neustart in der Primärversorgung gelingen kann“, die das Berliner IGES Institut im Auftrag der Robert Bosch Stiftung erstellt hat.

Im Extremfall haben Patienten keinen einzigen Hausarzt in ihrem Umfeld.

Für die hausärztliche Versorgung in Deutschland heißt das: Knapp 40 Prozent aller Landkreise werden nach Berechnungen der Expert:innen unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein. „Im Extremfall müssen Patienten damit rechnen, in ihrem Umfeld keinen einzigen niedergelassenen Hausarzt zu haben“, sagt Hans-Dieter Nolting, Versorgungsforscher und Geschäftsführer des IGES Instituts.

Deutschlandkarte

Wo 2035 in Deutschland Personen im ärztlichen Dienst fehlen: Vor allem in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen wird es weniger Personen im ärztlichen Dienst geben. 

Gleichzeitig wächst und verändert sich der Bedarf an gesundheitlicher Versorgung in der Bevölkerung. Mit der höheren Lebenserwartung steigt die Zahl der Menschen mit chronischen Krankheiten wie Demenz, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depression. Für diese brauchen Betroffene über Akutbehandlungen hinaus eine kontinuierliche Begleitung.

 

Ein notwendiger Schritt: Der Umbau der Primärversorgung

Daraus folgt: Die Primärversorgung – also die Ebene, auf der die Menschen zuerst mit dem Gesundheitssystem in Kontakt kommen – muss möglichst bald umgebaut werden. „Ein wichtiger Baustein ist der Aufbau von lokalen, inhaltlich umfassenden Gesundheitszentren, in denen multiprofessionelle Teams von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden mit anderen Gesundheitsberufen die Patienten bedarfsorientiert behandeln und optimalerweise deren familiäre und lebensweltliche Umstände kennen“, sagt Doris Schaeffer, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld.

Ein wichtiger Baustein ist der Aufbau von lokalen, umfassenden Gesundheitszentren.

Neben Personen im ärztlichen Dienst, Physiotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen und anderen Berufsgruppen nehmen dabei gut ausgebildete Pflegefachkräfte eine wichtige neue Rolle ein. Als „Community Health Nurses“ übernehmen sie die zentrale Koordination sowie die Ersteinschätzung und Beratung von Patient:innen und unterstützen diese kontinuierlich beim Umgang mit ihren Krankheiten im Alltag.

 

Modellprojekte von Hamburg bis zur Schwäbischen Alb

Wie solche Gesundheitszentren in Deutschland aussehen können, zeigen 13 PORT-Zentren (Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung), die die Robert Bosch Stiftung als Modellprojekte in 9 Bundesländern fördert. Sie funktionieren in bevölkerungsreichen Großstadtrevieren wie Hamburg-Veddel ebenso wie auf der dünn besiedelten Schwäbischen Alb. Sie bieten den Menschen über die klassische Sprechstunde hinaus vielfältige Leistungen von der Prävention und Gesundheitsförderung über die Behandlung bis hin zur Rehabilitation, alles eng verzahnt und aufeinander abgestimmt. Dabei sind die Zentren auf die jeweiligen regionalen Besonderheiten zugeschnitten und bieten darüber hinaus attraktive Arbeitsbedingungen – in der Stadt und auf dem Land.

 

PORT-Zentren als attraktive Arbeitgeber

Viele Personen im ärztlichen Dienst wollen lieber angestellt arbeiten als in einer eigenen Praxis, unter anderem weil so auch eine Beschäftigung in Teilzeit leichter möglich ist. Außerdem zeigen Umfragen unter Medizinstudierenden, dass viele das Arbeiten in multiprofessionellen Teams interessant finden. Diese Vorteile bieten PORT-Zentren gegenüber einzelnen Hausarztpraxen. Auch eine universitäre Anbindung kann besonders attraktiv sein und die Beteiligung an Studien ermöglichen.

 

Agenda für das Gesundheitssystem

Der Vorschlag, die Primärversorgung in dieser Weise zu stärken und auszubauen, ist Teil einer Agenda für das Gesundheitssystem in Deutschland, die die Robert Bosch Stiftung in ihrer Initiative „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“ gemeinsam mit Bürger:innen und Gesundheitsexpert:innen über drei Jahre hinweg erarbeitet hat. Die Zukunftsagenda wird am 17. Juni veröffentlicht und im Rahmen des Neustart! Gesundheitsgipfels an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn übergeben.