Interview
„Wir müssen früher eingreifen, damit die Menschen so lange wie möglich gesund bleiben“

Bogi Eliasen ist Direktor für Gesundheit am Copenhagen Institute for Futures Studies (CIFS) und beschäftigt sich mit Themen wie Genomik, (digitalen) Daten und Funktionen und mit ihrer Integration in unser künftiges Gesundheits- und Versorgungssystem. Im Interview verrät er, warum Gesundheit über Ländergrenzen hinweg gedacht werden muss und spricht über den künftigen Einsatz von digitalen Biomarkern in der Medizin.

Julia Eußner | März 2024
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SCIANA

Bogi Eliasen arbeitet besonders an Ansätzen, wie Gesundheit präventiv gedacht werden kann und Menschen so lange wie möglich gesund erhalten werden können.

Herr Eliasen, Sie leben und arbeiten in Dänemark – inwiefern unterscheidet sich das deutsche Gesundheitssystem vom dänischen?

In Dänemark haben wir ein steuerfinanziertes, zentralisiertes System, während Deutschland ein versicherungsbasiertes, föderiertes und sehr fragmentiertes System hat. Die Krankenhausreform, die aktuell hier diskutiert wird, hat in Dänemark bereits vor 15 Jahren stattgefunden – weniger Betten, größere Krankenhäuser. Das hat insoweit erst einmal funktioniert. Schaut man aber auf den Nutzen für die gesamte Gesellschaft, zeigt sich ein Problem, das nicht nur Dänemark hat. Beide Länder stehen vor einer doppelten demografischen Herausforderung: Die Bevölkerung wird immer älter und altersbedingte Krankheiten steigen stetig an, gleichzeitig geht eine Vielzahl der Menschen in Rente und verlässt den Arbeitsmarkt – es wird also mehr Kranke aber gleichzeitig weniger Arbeitskräfte. Hier müssen wir ansetzen und Gesundheit als einen fortlaufenden Prozess neu definieren, wenn wir Investitionen tätigen und versuchen, Pläne zu machen. Gesundheit ist ein fortlaufender Prozess, bei dem sich die Herausforderungen und Möglichkeiten ändern, es ist kein Prozess mit einem klaren Endpunkt, sondern ein nie endender, sich ständig verändernder Prozess,

Welche Rolle spielt für Sie Prävention in der Medizin und im gesamten Gesundheitssystem? Was versteht man unter Sekundärprävention?

Die durchschnittliche Lebenserwartung lag noch vor 150 Jahren bei 30. Heutzutage werden Menschen in vielen Ländern im Schnitt 80 Jahre alt. Wenn wir uns ansehen, warum, dann ist es nicht alleine die Verbesserung der medizinischen Versorgung wie die Einführung von Krankenhäusern. Es sind vor allem Faktoren wie bessere Arbeitsbedingungen, eine bessere Ernährung etc., die einen Unterschied machen. Und das ist entscheidend. Die Menschen werden nicht älter, nur weil sie ins Krankenhaus gehen. Sie werden vor allem deshalb älter, weil sie das Krankenhaus nie gebraucht haben – und das ist entscheidend, um zu verstehen, dass Gesundheit auch außerhalb des Gesundheitssystems stattfindet.

Das heißt: Wir müssen früher eingreifen, damit die Menschen so lange wie möglich gesund bleiben. Und hier kommt die Sekundärprävention zum Einsatz. Es geht nicht in erster Linie um mehr Hände, also Arbeitskräfte, die mit anpacken – sondern um den Zeitpunkt, an dem wir das Fachwissen, das wir haben, einsetzen. Das bedeutet auch, dass wir überdenken müssen, in welche Bereiche wir investieren, denn heute wird vor allem in Lösungen für Krankheiten im Spätstadium investiert – und nicht für Krankheiten im Frühstadium.

 Es geht nicht in erster Linie um mehr Hände, also Arbeitskräfte, die mit anpacken – sondern um den Zeitpunkt, an dem wir unser Fachwissen einsetzen.

Was muss sich in unserem Gesundheitssystem verändern, damit es in Zukunft gut funktioniert?

Wir müssen den Zugang zu Gesundheit ermöglichen – nicht nur zur Gesundheitsversorgung und Medizin, sondern zu einem gesunden Leben. Hier geht es nicht um die Genesung, wenn Menschen krank sind, sondern vor allem um eine Erhaltung der Gesundheit über das ganze Leben hinweg. Das ist ein Mentalitätswechsel, der stattfinden muss, und zwar von der Krankheit zur Gesundheit in allen Aspekten.  

Wo liegt Ihrer Ansicht nach hier das Potenzial des Bosch Health Campus?

Ich sehe viele Möglichkeiten. Eine davon ist, dass der Bosch Health Campus einen Beitrag zum Paradigmenwechsel leisten kann. Hier hat man wirklich die Möglichkeit, einen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen. Es gibt beispielsweise das PORT-Projekt, das unserem Ansatz der Sekundärprävention in Dänemark sehr nahe kommt. Das sollten wir vorantreiben. Außerdem sehe ich am Bosch Health Campus den Einsatz von relevanter Technologie im Gesundheitsbereich – Technologie, die die vierte industrielle Revolution, die jetzt an Fahrt aufnimmt, möglich macht.

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Bosch Health Campus

Digitalisierung als einer der Schlüssel für ein zukunftsfähiges Gesundheits- und Versorgungssystem.

Welchen Stellenwert hat dabei die personalisierte Medizin in der Transformation unseres Gesundheitssystems?

Ich hatte beruflich viel mit Genomik zu tun, aber es wird wahrscheinlich eine andere Personalisierung der Medizin in Zukunft sein – es wird nicht nur um Genomik gehen. Ich nenne es eine neue Biologie, bei der digitale Biomarker eine wichtige Rolle spielen werden. Wir setzen sie ein, um unsere Gewohnheiten auf andere Weise zu betrachten und zum Beispiel unser Verhalten oder unsere Ernährung maßschneidern zu können. Wir werden viel mehr Bilder und bildgebende Verfahren nutzen, intelligente Materialien wie Nanoroboter entwickeln. Durch die gesammelten Daten können wir dann Muster erkennen, die sich daraus ergeben. Die Vorteile und der gesundheitliche Nutzen für den Menschen werden diesen Wandel vorantreiben.

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Bogi Eliasen arbeitet als Direktor für Gesundheit am Copenhagen Institute for Futures Studies (CIFS). Er wurde auf den Färöer Inseln geboren und lebte dort bis in seine zwanziger Jahre. Bevor er zur Universität ging, verbrachte er zwei Jahre in Brasilien – beide Lebensabschnitte haben seinen heutigen Blick auf die Welt sehr geprägt. Bogi Eliasen studierte Politikwissenschaft und internationales Recht in Dänemark an der Universität Aarhus. Er war 25 Jahre lang als Berater im politischen und öffentlichen Sektor sowie für private Unternehmen tätig und ist Richard-von-Weizsäcker Fellow an der Robert Bosch Academy. Er war Initiator des Nordic Health 2030-Prozesses und maßgeblich an Initiativen wie FarGen oder dem Movimiento Salud 2030 (Verbesserung der Gesundheit in Lateinamerika) beteiligt.

Wo sollte das Gesundheitssystem in Zukunft nachhaltiger sein?

Nachhaltigkeit ist ein sehr wichtiges Thema – aber es ist auch wichtig genau zu wissen, was man damit meint, wenn man darüber spricht. Es gibt die ökologische Nachhaltigkeit, aber es gibt auch die Nachhaltigkeit, die auf einem wirtschaftlich nachhaltigen Gesundheitssystem basiert. Das bedeutet, dass man einen gesellschaftlichen Nutzen erbringen sollte, der mindestens so viel wert ist, wie man an Ressourcen einsetzt. Wenn wir zum Beispiel sagen, dass wir Wachstum in der Gesellschaft brauchen, um allen helfen zu können, dann muss das nicht unbedingt ein industrielles Wachstum sein. Es kann auch sein, dass wir durch die Verringerung der Krankheitslast mehr Hände haben, die mehr Dinge tun können. Auch das ist Nachhaltigkeit.

Sie sind Ko-Vorsitzender des überregionalen Health Leaders Networks Sciana – wie wichtig sind solche Programme für unsere Gesundheitsversorgung?

Sciana ist ein Führungsprogramm. Führung ist der Teil neben der Technologie, der meiner Meinung nach sehr wichtig ist, um bei unseren Herausforderungen im Gesundheitsbereich voranzukommen. Es geht um Mut, Veränderungen vorzunehmen. Es geht um Führung in einer neuen Zeit. Die Gesundheitssysteme an sich sind in jedem Land sehr unterschiedlich, 80 Prozent der gesundheitlichen Herausforderungen weltweit aber gleich. Wenn wir lernende Gesundheitssysteme wollen, die auf Daten basieren, können wir das nicht auf bestimmte Länder beschränken – wir müssen uns innerhalb unserer Länder, aber auch zwischen ihnen vernetzen und austauschen. An diesem Punkt sollten sich Führungspersönlichkeiten miteinander vernetzen.