Interview
Krebsforschung im Turbogang
Vor einem Jahr hat der gebürtige US-Amerikaner Dr. Steven Johnsen die wissenschaftliche Leitung des neuen Robert Bosch Centrums für Tumorerkrankungen am Bosch Health Campus übernommen. Das Institut beschäftigt sich hauptsächlich mit der Erforschung von Bauchspeicheldrüsenkrebs, Darmkrebs und Lungenkrebs. Im Interview spricht Johnsen darüber, was die Vorteile außeruniversitärer Forschung sind, und warum Pferde am Beginn seiner Laufbahn standen.
Für Dr. Steven Johnsen und sein Team sind vor allem die Belange von Patientinnen und Patienten leitend für ihre Forschungsarbeit.
Herr Dr. Johnsen, Sie sind seit einem Jahr Wissenschaftlicher Leiter des Robert Bosch Centrums für Tumorerkrankungen (RBCT) am Bosch Health Campus. Was war bisher das Highlight Ihrer Arbeit?
Das größte Highlight ist tatsächlich, das Institut so aufbauen zu können, wie ich es mir vorstelle. Solch eine Möglichkeit hat man nur selten. Wenn man an eine Uni kommt, gibt es meist bestehende Strukturen, einen relativ engen Kostenrahmen und Personal, das man übernehmen muss. Hier konnten wir wirklich alles selbst gestalten und ein Team aufbauen, das hervorragend zusammenpasst. Durch die Robert Bosch Stiftung als fördernde Einrichtung haben wir zudem die Möglichkeit, die modernsten Geräte kaufen zu können, sodass unsere Infrastruktur weit überdurchschnittlich ist. Deshalb haben wir in der kurzen Zeit bereits sehr gute Ergebnisse erzielen können. Und dann darf man die großartige Hilfe der Menschen vor Ort nicht vergessen, die mit ihrem Wissen dafür gesorgt haben, dass alles so schnell in Gang gekommen ist.
In welchen Bereichen konnten Sie bereits Ergebnisse erzielen?
Mit unserem eigenen DNA-Sequenzierer haben wir schon viele Genomanalysen durchgeführt. Bei diesen geht es darum zu sehen, wie stark bestimmte Gene in Tumorzellen ein- oder ausgeschaltet sind. An der Uni muss man dafür meist „Schlange stehen“, weil so ein Gerät von vielen benötigt wird. Wenn wir ein Experiment machen wollen, legen wir einfach los und haben die Daten zwei Tage später – nicht erst nach zwei Monaten. So haben wir in kürzester Zeit schon einige Hypothesen testen können. Was jetzt noch fehlt, ist eine gute IT-Lösung, um die Daten noch schneller analysieren zu können.
Ein weiteres Beispiel ist die Einzelzellanalyse. Hier untersuchen wir einzelne Tumorzellen mit zwei verschiedenen Methoden. Mit einem Gerät machen wir eine sogenannte Genexpressionsanalyse, mit einem anderen untersuchen wir Gewebeschnitte und schauen uns sieben verschiedene Merkmale der Zellen an, wie etwa ihre Proteinstruktur und ihre räumliche Lage im Tumor. Teilweise können wir auf diese Weise resistente Zellen identifizieren und so darauf schließen, ob sich eine Chemotherapie zur Behandlung eignet.
Gefärbte verschiedene Zelltypen in einem Darmkrebs-Gewebeschnitt.
Gibt es neben der Ausstattung und dem hohen Tempo weitere Unterschiede zu Unikliniken, eventuell auch Nachteile?
Wir sind sehr ähnlich aufgestellt wie eine Uniklinik, sind aber eben kleiner und fokussierter. Obendrein haben wir das Unternehmen Robert Bosch als großindustriellen Partner an unserer Seite, was bedeutet, dass wir beispielsweise bestimmte Entwicklungen viel schneller in die Diagnostik bringen können. Ein gewisser Nachteil ist vielleicht, dass wir für die Abschlüsse unseres wissenschaftlichen Nachwuchses immer auf Unis angewiesen sind. Zum Glück wurden wir vom Rektor der Universität Stuttgart und vielen Kolleginnen und Kollegen dort mit offenen Armen empfangen, sodass wir bald eine solide formale Anbindung haben werden. Auf der medizinischen Seite besteht außerdem bereits ein sehr guter Kontakt zur Universität Tübingen, deren Lehrkrankenhaus seit vielen Jahren das Robert-Bosch-Krankenhaus ist.
Sie haben bereits an Universitäten in Deutschland und den USA geforscht. Wie haben Sie die beiden Wissenschaftssysteme erlebt?
In Deutschland ist es so: Wenn man einen innovativen Forschungsantrag stellt und sein Anliegen gut begründet, bekommt man in der Regel finanzielle Unterstützung – sei es von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Deutschen Krebshilfe oder von anderen Drittmittelgebern. In den USA kenne ich Kolleginnen und Kollegen, die trotz hervorragender Projekte und exzellenter Lebensläufe keine Mittel für ihre Forschung erhalten, weil es einfach deutlich weniger Geldgeber gibt. Viele von ihnen mussten deshalb bereits aufgeben. Wenn man in Deutschland die Hürde vom Postdoc zur Gruppenleitung genommen hat, kommt man in der Regel mit guten Ideen auch weiter.
Von 2019 bis 2022 war Dr. Steven Johnsen Professor für Medizin und Pharmakologie an der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota (USA). Davor war er von 2014 bis 2019 W3-Professor für translationale Krebsforschung an der Georg-August-Universität Göttingen. Von 2012 bis 2014 hatte er eine W2-Professur am Institut für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und von 2007 bis 2012 eine Juniorprofessur in Göttingen inne. Seine wissenschaftliche Ausbildung hat er als Doktorand an der Mayo Clinic und als Postdoc am UKE sowie am Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg absolviert.
Wie sind Sie zur Krebsforschung gekommen?
Mein erstes Interesse an Biologie und Genetik hat sich durch Pferde entwickelt. Ich bin ein großer Pferdeliebhaber und habe mit elf Jahren mein erstes eigenes Pferd bekommen. Das war ein sogenanntes Cremello – das sind Pferde, die durch die Vererbung zweier „Creme-Gene“ von goldfarbenen Eltern eine besonders helle Färbung bekommen. Ich wollte genau wissen, wie die Vererbung dieser speziellen Fellfarbe funktioniert.
Im Studium habe ich mich dann früh mit Molekularbiologie beschäftigt, der Regulation von Genen und der Transkription, also der Übertragung von Signalen von außen in die Zelle. Zu verstehen, wie Gene durch bestimmte Signale ein- und ausgeschaltet werden, ist wichtig, um die „Identität“ von Zellen bestimmen zu können. Dabei war ich nicht von Anfang an auf Krebsforschung fixiert. Aber heute helfen die Erkenntnisse zu verstehen, welche Identität bestimmte Tumorzellen haben. Das ist wichtig, da Zellen mit bestimmten Identitäten besser auf Chemotherapien ansprechen als andere. Dieses Wissen können wir dann wiederum in die Klinik übertragen.
Eine Besonderheit des Robert Bosch Centrums für Tumorerkrankungen ist, dass es aus einem wissenschaftlichen und einem klinischen Teil besteht. Wie muss man sich das vorstellen?
Wenn man in der Grundlagenforschung neue Projekte konzipiert, fragt man als Wissenschaftler anfangs oft: Was interessiert mich? Wir hingegen fragen: Was hat eine Bedeutung für die Patientinnen und Patienten? Das heißt, wir initiieren Forschungsprojekte, die möglichst in fünf bis zehn Jahren in klinische Studien münden. Wir suchen Antworten, die in greifbarer Nähe liegen und den Betroffenen direkt zugutekommen. So fällt es auch leichter, Patientinnen und Patienten zu erklären, wofür wir ihre Daten benötigen. Diese Arbeitsweise setzt eine sehr gute Kooperation zwischen Wissenschaftler:innen und Kliniker:innen voraus. Deshalb hat das RBCT neben mir als Wissenschaftlichem auch einen Klinischen Leiter, Prof. Hans-Georg Kopp vom Robert-Bosch-Krankenhaus, mit dem eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit besteht.
„Durch eine gewisse Datenmenge können wir nicht mehr nur retrospektiv, sondern auch prospektiv sagen, welche Tumoren auf welche Therapien ansprechen. “
Nach einem Jahr Aufbauarbeit: Welche Schwerpunkte werden Sie künftig setzen?
Die Arbeitsgruppen stehen soweit und wir sind dabei, verschiedene Ziele zu verfolgen. Es geht jetzt darum, sich weiter zu etablieren, weitere Daten zu generieren und Forschungsförderung einzuwerben. Die ersten Forschungsanträge sind bereits gestellt. Mein Ziel wäre außerdem, dass die Proben von allen Krebspatientinnen und -patienten am Robert-Bosch-Krankenhaus unsere Analysen durchlaufen. Denn durch eine gewisse Datenmenge können wir nicht mehr nur retrospektiv, sondern auch prospektiv sagen, welche Tumoren auf welche Therapien ansprechen. Hierfür ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Kliniken sehr wichtig. Gerade wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bestätigt, dass der Bosch Health Campus zusammen mit den Unikliniken Tübingen und Ulm eins von bundesweit sechs Nationalen Centren für Tumorerkrankungen bilden wird, das „NCT-SüdWest“. Dieser Zusammenschluss hat unter anderem zum Ziel, Krebsforschung und -therapie durch eine stärkere Beteiligung von Patientinnen und Patienten zu verbessern.